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Akupunktur & Placebo

Akupunktur: punktgenaue Hilfe oder Placebo? Eine Einordnung

Akupunktur ist eines der bekanntesten Verfahren aus der Traditionellen Östlichen Medizin – und gleichzeitig eines der umstrittensten. Ihre Wirkung wird je nach Perspektive als sehr wirksam oder als Placeboeffekt eingeordnet. Was stimmt? Eine differenzierte Betrachtung zwischen moderner Forschung, historischer Entwicklung und klinischer Erfahrung.

Traditionelles versus westliches Verständnis der Akupunktur

In der traditionellen chinesischen Medizin basiert die Akupunktur auf der Theorie des Qi, eine lebensspendende Energie, welche durch den Körper fliesst und entlang von Meridianen, also Energiebahnen, gelenkt wird. Gesundheit wird hier als ein Zustand des Gleichgewichts verstanden, während Krankheit als Störung oder Blockade des Qi-Flusses betrachtet wird. Das Ziel der Akupunktur ist es, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen, indem Nadeln an spezifischen Akupunkturpunkten gesetzt werden, die den Energiefluss regulieren.

Im Gegensatz dazu betrachtet die westliche Medizin Akupunktur eher als eine Form der Schmerztherapie und als eine Methode, die physiologische Reaktionen des Körpers beeinflusst. Die westliche Sichtweise konzentriert sich auf die neurologischen und physiologischen Mechanismen, die durch das Setzen von Nadeln an bestimmten Körperpunkten aktiviert werden. Man geht davon aus, dass Akupunktur Endorphine freisetzt, die Durchblutung verbessert und das Schmerzempfinden reduziert.

Was sagt die Wissenschaft?

Bei Angaben zur wissenschaftlicher Literatur zur Akupunktur ist eine gewisse Skepsis nicht unberechtigt. Viele Studien erscheinen in Fachzeitschriften, welche im akademischen Umfeld kaum etabliert sind, stammen von kleinen Autorengruppen, sind in der Methodik lückenhaft oder arbeiten mit sehr begrenzten Teilnehmerzahlen. Das macht belastbare Aussagen schwierig. Wirklich gross angelegte, methodisch ausgreifte Untersuchungen aus anerkannten Institutionen sind selten. Auch, weil Voreingenommenheit und fehlendes Interesse eine Finanzierung oft schon im Ansatz verhindern-gute Studien sind wegen des Aufwandes sehr teuer.

Eine Ausnahme ist die sogenannte GERAC-Studienreihe (German Acupuncture Trials) [1-3], die in den 2000er-Jahren unter strengen methodischen Bedingungen (randomisierte, doppelverblindete, kontrollierte Kohortenstudie mit hoher Teilnehmerzahl) in Deutschland durchgeführt wurde und international Beachtung fand. Aufgrund der Ergebnisse ist Akupunktur als erstattbare Kassenleistung in Deutschland bei spezifischen Indikationen anerkannt [3].  Es zeigte sich: Sowohl echte Akupunktur als auch eine sogenannte Scheinakupunktur erzielten bei chronischen Rückenschmerzen, Kniearthrosen und Migräne beim Menschen signifikant bessere Ergebnisse als eine konventionelle Standardbehandlung. Allerdings war kein signifikanter Unterschied zwischen echter- und Schein-Akupunktur nachweisbar. Diese Ergebnisse wurden in einer weiteren systematischen Übersichtsstudie 2020 bestätigt [4] und sind Teil gegenwärtiger Diskussionen. Wenn Scheinakkupunktur, als das Nadeln nicht auf dem exakten Akupunkturpunkt genauso gut wirkt wie Akupunktur, so die Argumentation, muss es sich um einen Placeboeffekt handeln.

Kritik an der Interpretation 

Vielfach wurde kritisiert, dass die sogenannte Sham-Akupunktur keineswegs eine Scheinakupunktur war.  Die Annahme, Akupunkturpunkte seien millimetergenau lokalisierbar, ist überholt. In der Praxis handelt es sich meist um funktionelle Zonen – wie unlängst von einer Wissenschaftlerin der renommierten Harvard Universität dargestellt wurde [5]. Untersuchungen zeigen vielmehr, dass es sich in der Praxis um funktionelle Zonen handelt, deren Ausdehnung und anatomische Ausstattung variieren können: Manche weisen eine hohe Dichte an Nervenendigungen oder kleinen Nervenbündeln auf, andere liegen in unmittelbarer Nähe zu Gefäss-Nerven-Bündeln, wieder andere an Übergängen zwischen Muskeln und Faszien. Nicht alle Punkte teilen dieselben anatomischen Merkmale, doch viele besitzen die Eigenschaft, mechanische, elektrische oder chemische Reize besonders effektiv weiterzuleiten. Die Frage, was ein Akupunkturpunkt eigentlich genau ist, bleibt unklar aus wissenschaftlicher Sicht und bedarf weiterer Forschung. Hinzu kommt: Akupunktur ist nur ein Teil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die eine ganz eigene Philosophie verfolgt, welche oft nicht vollumfänglich berücksichtigt wird und zu zahlreichen Missverständnissen führt.

Denkanstösse ausserhalb des wissenschaftlichen Diskurses

Historischer Kontext

Die westliche Wissenschaft  hat über Jahrhunderte hinweg eine dominante Rolle in der globalen Wissensproduktion gespielt. Historisch gesehen war die östliche Zivilisation jedoch in vielen Bereichen dem Westen überlegen. So entwickelten die asiatische Kulturen bereits sehr früh Technologien wie den Magnetkompass, das Papier, den Buchdruck, Porzellan, den Webstuhl oder das Schiesspulver-um nur einige zu nennen-, während der Westen noch in dunklen Phasen der technologischen Entwicklung verharrte [6]. 

In diesem Zusammenhang erscheint es mir als eine Anmassung, östlichen Heilverfahren ihre Wirksamkeit generell abzusprechen, auch wenn es gerade bei der Akupunktur Betrugsversuche gegeben hat: Die Berichte und Videos über die lokale Betäubungen rein mittels Elektroakupunktur während chiruischer Eingriffe, die zunächst grosses Aufsehen erregten, wurden als Fälschungen entlarvt. Diese Tatsache muss jedoch vielmehr im Kontext der ideologischen Propaganda zwischen Ost und West in der Zeit des alten Krieges gesehen werden, und nicht als einen grundlegenden Beweis für die fehlende Wirkung der Akupunktur [7].

Widerstände und Dogmen in der Medizin 

Die westliche Wahrnehmung von Wissenschaft und Technologie als Massstab der globalen Entwicklung war (und ist) nicht frei von Irrtümern. Ein drastisches Beispiel findet sich in der Geschichte der westlichen Medizin: Ignaz Semmelweis, ein ungarischer Arzt im 19. Jahrhundert, entdeckte, dass das Händewaschen vor der Geburtshilfe die Sterblichkeitsrate in Entbindungsstationen drastisch senkte. Semmelweis setzte sich mit Nachdruck für seine Entdeckung ein, stiess jedoch auf vehementen Widerstand von etablierten Kollegen, die seine Theorie ablehnten. Semmelweis wurde diskreditiert und später in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, wo er vermutlich ermordet wurde. Erst Jahre später, nachdem seine Entdeckung durch Louis Pasteur und andere Wissenschaftler bestätigt wurde, wurde die Bedeutung der Hygiene in der Medizin allgemein anerkannt. 

Ein weiteres, weit weniger dramatisches Beispiel, ist die Entdeckung von Helicobacter pylori als Ursache von Magengeschwüren. Bis in die 1980er Jahre galt die Ursache von Magengeschwüren als übermässige Säureproduktion und Stress. Doch die australischen Ärzte Barry Marshall und Robin Warren entdeckten 1982, dass das Bakterium Helicobacter pylori eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Magengeschwüren spielt. Ihre Entdeckung stiess zunächst auf grossen Widerstand, da die medizinische Gemeinschaft das Konzept, dass ein Bakterium Magengeschwüre verursachen könnte, zu der Zeit nicht akzeptieren wollte. Heute ist es  anerkanntes Wissen.

Es gibt mehr solcher Beispiele. Es verdeutlicht, welchen Widerständen (noch) nicht etablierte Behandlungsmethoden ausgesetzt sein können. Ob es sich bei der westlichen Skepsis gegenüber Akupunktur um ein irrtümliches Dogma handelt, bleibt vorerst offen.

Persönliche Einstellung 

Auch ich befinde mich mit meinem akademischen Hintergrund und Umfeld in der Konfliktzone der hier skizzierten Diskussionen. Ob es sich bei der Akupunktur um einen reinen Placeboeffekt handelt, bleibt aus wissenschaftlicher Sicht zu klären. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir die Zusammenhänge noch nicht vollumfänglich verstehen und es wesentlich mehr Forschung bedarf, bevor man diese Aussage treffen kann. Aus meiner Sicht spielt das auch eine untergeordnete Rolle, für mich zählt der praktische Nutzen, den ich bei meinen Patienten täglich beobachten kann. 

Die Erfahrungen mit meinen Patienten waren jedenfalls für mich derart überzeugend, dass ich mich dieser Thematik gegenüber geöffnet habe. Ich setze Akupunktur dort ein, wo sie sich als gut verträglicher und hilfreichender Therapiebaustein erwiesen hat. Dabei ist mir unabhängig davon wichtig, offen mit wissenschaftlichen Grenzen umzugehen. Die Diskussion verdeutlicht in meinen Augen, dass Akunpunktur in verantwortungsvolle Hände gehört, in der schulmedzinische Aspekte nicht aus den Augen verloren werden dürfen. 

Fazit

Eine vorteilhafte Wirkung der Akupunktur beim Menschen im Vergleich zu Standardtherapien konnte wissenschaftlich belegt werden. Der genaue Wirkungsmechanismus bleibt zwar bis auf weiteres offen, doch die positiven Ergebnisse in der klinischen Praxis unterstreichen das Potenzial der Akupunktur als wertvolle Möglichkeit zur Ergänzung klassischer Therapieverfahren.

Falls Sie mehr über die Möglichkeiten der Akupunktur erfahren möchten, können Sie mich jederzeit kontaktieren. Ich beraten Sie gern, wie dies unterstützend in die Behandlung Ihres Tieres integriert werden kann.

Quellen
  1. Molsberger AF, Mau J, Pawelec DB, Winkler J. Does acupuncture improve the orthopedic management of chronic low back pain–a randomized, blinded, controlled trial with 3 months follow up. Pain. 2002 Oct;99(3):579-587. doi: 10.1016/S0304-3959(02)00269
  2. Streitberger, K., Mansmann, U. & Victor, N. GERAC-Studie zu Akupunktur bei Gonarthrose. Trauma Berufskrankh 9 (Suppl 3), S365–S369 (2007). https://doi.org/10.1007/s10039-007-1230-7
  3. Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses Deutschlands zur Akupunktur vom 18.04.2006. https://www.g-ba.de/downloads/40-268-71/2006-04-18_Akupunktur-TGr.pdf?
  4. Mu J, Furlan AD, Lam WY, Hsu MY, Ning Z, Lao L. Acupuncture for chronic nonspecific low back pain. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 12. Art. No.: CD013814. https://doi.org/10.1002/14651858.CD013814
  5. Langevin HM, Wayne PM. What Is the Point? The Problem with Acupuncture Research That No One Wants to Talk About. J Altern Complement Med. 2018 Mar;24(3):200-207. doi: https://doi.org/10.1089/acm.2017.0366 Epub 2018 Mar 1.
  6. Naturwissenschaft im alten China und eine fernöstliche Sichtweise physikdidaktischer Methoden / vorgelegt von Christian Waltenberger. 2015. Institut für Physik, Uni Graz, Diplomarbeit. https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/495864/full.pdf
  7. Baum E. Acupuncture Anesthesia on American Bodies: Communism, Race, and the Cold War in the Making of „Legitimate“ Medical Science. Bull Hist Med. 2021;95(4):497-527. doi: 10.1353/bhm.2021.0055

Bild: VetDynamics